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Neues Thema - Antworten

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Klapptbestimmt
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PM ID: 9371
PM [Klapptbestimmt]

Last replied to on Fri Nov 09, 2012 01:01:14
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So... weil ich es gerade in einem anderen Thread versprochen habe und auch, um mich mal mitzuteilen, hier dann nunmal ein wenig von meiner Geschichte.

Erstmal ein wenig Lebenskram vorneweg. Da ich es gerade gelesen habe - ich habe viele Sportarten durch, viele bis zu den ersten Erfolgen, dann Langeweile oder was weiß ich. Also vieles angefangen, nichts zuende gemacht.

Ich schreibe mal einfach nicht mehr zu meiner Lebensgeschichte, weil mir dies zu viel wäre hier in der Offenheit und auch Details enthält, von denen ich nicht will, dass sie öffentlich werden.

Was ist also nun weiter passiert.... eigentlich war ich früher ein guter Schüler, bis zur Oberstufe auch gut gelernt, gute bis sehr gute Noten und dann fing das Malheur an. Oberstufe - Abi ohne Lernen schon "nur" noch befriedigend bestanden. Danach ab ins Studium. Da ging dann fast nix mehr. Das hat mich so weit getrieben, dass nun das Ende meines Studienganges ansteht und ich mich zwangsläufig zur Diplomarbeit anmelden musste. Man mag es kaum glauben - aber der Diplomversuch ging gnadenlos in die Hose. Geschoben, geschoben, geschoben, das schaff ich bestimmt noch, is ja nich so viel... etc..

Das, was ich jetzt in Kürze geschrieben habe, hat in Wirklichkeit komplett andere Züge gehabt. Selbsthass in reinster Form - immer wieder die selbe Frage: warum nicht?

Anderen Menschen zu helfen, irgendwas zu machen, ging perfekt von der Hand, immer nur meine eigenen Dinge nicht. Das hatte nichts mit Faulheit zu tun und auch nicht mit mangelndem Willen. Entweder habe ich Dinge (die auch mit sauviel Arbeit verbunden waren) für andere Leute erledigt oder teilweise stundenlang einfach nur die Wand angeschaut - also nicht rumgepennt oder dergleichen. Genauso fing dann auch mein erster Diplomversuch an. Angemeldet und.... nix. Ich hatte nichtmal Verabredungen oder dergleichen gehabt, weil ich der festen Meinung war, JEDEN TAG aufs Neue, dass ich heute was schaffe. Davon war ich wirklich ÜBERZEUGT! Dann bin ich alleine zu Hause geblieben und... hab einfach die Wand angeschaut. Stundenlang. Das ist so absurd - man weiß genaz genau, was für einen Bockmist man da verzapft und mir braucht NIEMAND erzählen, ich würde nicht wissen, wie wichtig eine Diplomarbeit sei.

Viel schlimmer noch - meine Freund haben sich ständig erkundigt, wieviel ich schon geschrieben habe. Hier die perfekten Mechanismen: natürlich konnte ich über steigende Seitenzahlen berichten, war im Thema, konnte diskutieren und habe gezeigt, dass ich was vom Thema verstehe. Völlig krank. Mit anderen Worten: ich habe meine Freund belogen.

Als dann der Tag der Abgabe nahte, erreichte mein Selbsthass langsam den Maximalwert. Ich hab echt hart auf der Kante gestanden und im Grunde genommen - tatsächlich keinen Willen mehr gehabt. Das ist kein hohler Spruch, sondern das war so ziemlich der Tiefpunkt in meinem Leben.

Ich bin dann auf dieses Forum hier gestoßen, habe mich in die Materie eingelesen und der Reihe nach Stück um Stück immer mehr mein eigenes Verhalten wiedergefunden. Die gleichen Schemata, die gleichen Merkmale. Hier kam dann auch der entscheidende Punkt: die Erkenntnis, dass es sowas auch als Krankheit gibt. Das hat zwar erstmal die Symptome nicht verändert, aber das Selbstbild. Ich hatte immer großes Verständnis für psychische Probleme aller Art - Depressionen, Angststörungen, etc.. Ich habe immer gesagt: wenn einer ein Gipsbein hat, sagt ihm doch auch niemand, er soll einfach laufen, weil das Bein ist ja noch da. Und dann stehst Du selber da und hast das Gefühl, Du hast völlig einen an der Waffel. Obwohl ich die Symptome mittlerweile sehr sehr viele Jahre mit mir rumtrage, hatte ich das totale Problem, mir dieses Verhalten auch Krankheit anzulasten. Ich hatte immer wieder im Kopf: ist doch eigentlich nur Faulheit und die Unfähigkeit, seinen Arsch hochzubekommen. Ich wollte es mir nicht anerkennen. Trotzdem - die Tage haben vieles verändert.

Da ich vor einem halben Jahr umgezogen bin, habe ich die totale Wut bekommen und ALLES, was ich hier noch hatte, ausgeräumt, durchgewühlt und überflüssiges Zeugs entsorgt. Zudem habe ich viel Papierkram ausgegraben, sortiert, geschreddert, ausgedünnt. Dabei sind Briefe zum Vorschein gekommen, die seit 10 (!!) Jahren ungeöffnet rumlagen. Das gesamte Ausmaß meines Verhaltens kam zu Tage - und ich muss gestehen: ich war total entsetzt. NIEMALS hätte ich dieses Desaster erwartet. Ja, Desaster trifft es wie nichts anderes. Dazu kam noch, dass meine Kennzeichen eingezogen werden sollten, weil ich meine Versicherung gekündigt hatte, aber keine neue abgeschlossen hatte. Das Ordnungsamt stand schließlich bei meiner Familie vor der Tür. Zudem hat mir mein Arbeitgeber angekündigt, dass ich wohl nicht mehr lange dort arbeite aufgrund meiner hohen Semesterzahl. Und irgendwas hat mich da wachgerüttelt. Mehrere Umzugskartons mit Zeugs flog auf den Müll, mehrere Müllsäcke alte Unterlagen gleich dazu. Ich gebe Euch mal einen kleinen Abriss von alle dem, was liegengeblieben war:

- Konten, die 2003 seitens der Bank schon wegen Untätigkeit geschlossen wurden, wollte ich kündigen, weil ich überhaupt nicht gemerkt habe, dass das Konto zu war
- andere Konten hatten etliche Gebühren auflaufen lassen, die ich nun alle zahlen musste, um die Konten zu schließen
- mein Auto habe ich nach einem Jahr Rumsteherei endlich in die Werkstatt gebracht
- ich habe mich selber umgemeldet und mein Auto gleich dazu
- ich habe meinen Diplombetreuer angeschrieben, mich allerdings nur teilweise erklärt und direkt eine neue Chance bekommen
- durch meine Pennerei wären fast meine letztmöglichen Klausurtermine futsch gewesen, kurz vor Ende des Studiums stand ich Millimeter davor, exmatrikuliert zu werden

Ich weiß nicht, ob Ihr Euch vorstellen könnt, was für ein totales Chaos da in einem stattfindet, welche Leere, Unerklärbarkeit, Pein. Ich bin dann zu meinen Freunden gegangen, habe mit den wichtigsten von ihnen gesprochen, habe mich für meine Lügen entschuldigt und - ich bin auf sauviel Verständnis gestoßen. Einer sagte sogar direkt: "jo klar, Procrastination. Hab ich auch und bin total verzweifelt." Habe ich nie gemerkt, so hatte ich das genaue Gegenbeispiel vor der Nase.

So... und nun habe ich tatsächlich meine erneute Anmeldung zur Diplomarbeit hinbekommen, muss aber auch noch 3 Klausuren schreiben. Ich habe angefangen, meine Finanzen zu organisieren, Verträge zu kündigen, aufzuräumen. Meine Wohnung fertigzustellen, meine Freunde und Familie anzusprechen, meinen Bankberater zu konsultieren. Kurzum - ich habe mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. Weiterhin steht nun noch die Therapie auf dem Plan, die ist auch angeleiert.

Meine wichtigste Neuerung: eine To-Do Liste, die ich IMMER auf der Couch liegen habe. Keine Datei im Computer-Nirvana, kein Filofax, nichts, was mir nicht sofort und offen zeigt, was ich noch alles zu tun habe.

Ich kann nur mittlerweile sagen: mein Verhalten auf Dauer von bestimt 15 (!!) Jahren hätte mich fast meine Existenz gekostet. Dabei bleibt zu betonen: keine Zwangsmaßnahme hätte dies ändern können. Ich habe genug Strafen bezahlt, genug Geld verloren, genug aufs Spiel gesetzt und verloren. Ich kenne die Blockade, die einen hindert, aktiv zu werden. Ich kenne es, stundenlang nur Wände anzustarren. Ich kenne es, wenn "wichtige" Leute vor der Tür stehen und Zwangsmaßnahmen einleiten. Daher braucht mir auch niemand zu erzählen, wie "leicht" es ist, seinen Arsch hoch zu kriegen. Wie ich schon sagte - ein psychisches Problem lässt sich nicht wegdiskutieren und schon gar nicht von Leuten, die von Empathie so weit weg sind wie der Teufel vom Weihwasser.

Ich hoffe nur inständig, dass ich die Schiene beibehalten kann und weiter aktiv bleibe und nicht wieder in alte Schemata verfalle. Dafür habe ich mittlerweile zu viel geschafft, um das wieder aufs Spiel zu setzen. Auch mein Diplom will ich unbedingt abschließen, denn das ist mein großes Ziel. Alles andere hat aktuell Nachrang. Diese Woche muss der Rest fertig sein, danach gibt es nur noch einen Fokus: mein Studium.

Tjoa... und was soll ich sagen: die Dinge, die ich hier angesprochen habe, sind gerade mal die Spitze des Eisberges. Nicht einmal annähernd kann ich in den "paar Zeilen" niederschreiben, was ich an Chaos veranstaltet habe. Und zwar: ohne es wirklich zu merken und immer mit einer guten Rechtfertigung für mich selber, obwohl ich zu jeder Sekunde wusste, dass es totaler Schwachsinn ist, den ich da veranstalte. Der "gesunde" Mechanismus der Selbsterhaltung hat letztlich gegriffen, aber unglaublich spät. Die eigene "jetzt mal den Arsch hochkriegen" Fähigkeit war eigentlich nicht existent. Und vor allem: ich bin noch lange nicht raus. Die Arbeit, die ich noch vor mir habe, erscheint manchmal schier unmöglich... aber zumindest habe ich eines immer gekonnt: nicht aufzugeben.... auch, wenn es manchmal sehr knapp war.

Viele Grüße

Klapptbestimmt



helwie
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Posted at Sat Mar 31, 2012 09:59:09
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Hallo Klapptbestimmt,
Gratulation zur rechtzeitigen Wende in deinem Leben! Auch wenn es bestimmt mal Rückschläge geben wird, glaube ich, dass du es grundsätzlich geschafft hast.
Danke für die Schilderung. Alles Gute und viel Kraft weiterhin! helwie

DefinitelyMaybe
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Posted at Mon Apr 02, 2012 13:20:55
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Danke KlapptBestimmt,

deine Beschreibung hat mich beim Lesen wirklich gefesselt. Du kannst mit Recht sagen, dass du den Kelch bis zur Neige geleert hast.
Der Bericht rüttelt mich außerdem wach, zeigt mir, dass ich beginne all das auch zu durchleben - statt and die Wand, starre ich aus dem Fenster.
Daher habe ich 100%-iges Verständnis für deine vergangenen Jahre - und ebensolchen Respekt vor deinen eingeleiteten Schritten. Ich werde mir ein Beispiel nehmen.

Vielen Dank

Trixi
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Posted at Tue Apr 03, 2012 09:46:56
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Hey,

toller Bericht. Ich hoffe du schaffst es. Zudem versteh ich deine Angst vor dem Rückfall, den ich mache gerade das selbe durch. Auch ich habe begonnen mein Leben umzukrempeln und kämpfe jeden Tag gegen das Aufschieben, die Angst um endlich etwas zu tun. Und der Witz dabei ist, mann weiß genau das es nichts schlimmes ist, das es nur hilft und trotzdem fällt es einem so extrem schwer.

Ich merke du hast einen Konserquenteren Weg eingeschlagen. Die to-do-Liste werde ich mir auch schreiben und jetzt wieder loslegen! Mit ein wenig Glück schaffe ich das.^^

Lg

gerhard_s
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Posted at Thu Apr 05, 2012 20:49:50
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Hi, danke für die Antwort in meinem Thread. Toller Bericht, und du hast recht, sowas liest man viel lieber als "Standardfloskeln". Ich erkenne so viel wieder, die Fortschrittsberichte, die Zuversicht für den nächsten Tag, den Selbsthass, das Bewusstsein, dass man die eigene Zukunft ruiniert, anderen ohne Verkorksung helfen aber nichts für sich selbst tun.
Schön dass du die Wende geschafft hast, gratuliere. Es beeindruckt mich, dass du von selbst auf deine Freunde zugegangen bist und deine Probleme gebeichtet hast - ich glaube das könnte ich nicht, aber ich muss es auch, oder sollte es, egal, nur nicht jetzt, irgendwann später.
Ich hijacke jetzt mal einfach deinen Thread, bitte nicht böse sein, aber ist einfacher so weiterzulesen:

So weit wie bei dir konnte es bei mir noch nicht kommen, da ich finanziell immer auf meinen Vater angewiesen war. Ich hab auch kein Auto (warum eigentlich nicht?) und wohnte in der Wohnung, die meine Eltern für meine Schwestern und mich fürs Studium gekauft haben. Ich bin der Jüngste von 4 Geschwistern, und Nachzügler. Versicherungen oder Bankkonten musste ich mir nie selbst organisieren, es stand immer alles bereit. Wie gehts also weiter?
Ein paar Schritte habe ich gesetzt, ich bin mir aber nicht sicher, ob diese nicht teilweise eher der Prokrastination nützlich waren als ihrer Bekämpfung:

- Aus der Wohnung ausgezogen, mit meiner Freundin zusammengezogen. Die weiß zwar von meinen Problemen, glaubt aber auch, dass ich faul bin. Sie ist Medizinerin.
- Beim Auszug unglaublich viel Müll entsorgt.
- Nach dem Auszug unglaublich viel Staub und Schmutz weggemacht. Ich hatte seit Jahren nur oberflächlich geputzt. Das war mir auch unglaublich peinlich, das hat meine ganze Familie gesehen, und ich zum ersten Mal.
- Einen neuen Teilzeitjob angenommen. Auch dort fang ich an zu prokrastinieren, ich arbeite gern um das Thema herum, verschiebe unangenehme "Problemarbeiten" auf später.
- Alkoholkonsum drastisch reduziert. Eher aus Gesundheitsgründen.
- Mir bewusst eine Auszeit vom Studium genommen. Das weiß aber nur ich, meine Familie nicht.

Vermutlich muss ich auch erst am Boden ankommen, bevor es besser wird. Den Termin mit der psychologischen Beratungsstelle hab ich jetzt schon 2 Wochen vor mir hergeschoben. Vielleicht sollte ich mir auch so eine To-Do Liste anlegen.
In diesem Sinne, bis später!
Lg Gerhard

PS: Ich starre übrigens auf den Bildschirm.


Klapptbestimmt
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Posted at Fri Apr 06, 2012 12:25:05
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Hallo Gerhard,

hmja, vielleicht habe / hatte ich das Glück, dass es bei mir halt so weit kommen konnte. Andererseits hatte ich ja schon erwähnt, dass ich auch sau viel "Strafe" gezahlt habe für so manche Sache. Wie es anders geht habe ich gestern wieder erfahren. Ich bin von der Arbeit gekommen und hatte eine Mahnung mit wahnsinnigen Mahngebühren im Briefkasten, wobei die eigentliche Schuldsumme schon in meinem ersten Aufräumlauf bezahlt wurde (auch schon inklusive Mahngebühren). Ich habe mir den Brief geschnappt, mich sofort kurz eingelesen, Argumente gesammelt und dann dem Kundendienst eine sehr gesalzene Mail geschrieben. Die Reaktion war ad hoc: mein Kundenkonto wurde auf 0 gesetzt, das heißt sämtliche Mahngebühren gestrichen, weil sie einfach saumäßig überzogen waren. Es ist ja nicht so, dass jede Mahngebühr gerechtfertigt ist .

Manchmal ist es erstaunlich, wie "leicht" sich manche Sachen aus der Welt schaffen lassen. Eine Aktion, die meinetwegen eine halbe Stunde kostet, erspart mehrere Stunden Arbeit.

Ja und putzen steht bei mir morgen auf dem Programm. heute will ich mal Feiertag haben und bewusst faul sein. Vielleicht rausgehen oder geocachen - irgendwas, um auch so langsam die Bewegungsschiene wieder in Gang zu bringen. Mal schauen.

Was die Sache bei Dir angeht - ich bin nun auch kein Psychologe und mir fällt es unheimlich schwer, jetzt Ratschläge zu geben mit dem Nachsatz "klappt bestimmt". Ich weiß ja, dass Du im Grunde genommen die meisten Argumente selber kennst.

Ich glaube, ich kann vor allem die Punkte "Freunde" und handschriftliche To-Do-Liste so im Raum stehen lassen. Bei mir hat sich bewahrheitet, dass ich meine Freunde nicht umsonst Freunde nenne. Mit ordentlicher und vernünftiger Erklärung (ich sehe mich und auch Dich dabei allerdings durchaus in der Erklärungspflicht) lässt sich Verständnis generieren und zumindest ein Weg aus der Isolation mit diesem Problem schaffen. Die Bereitschaft der Freunde, in Notsituationen einfach mal Standardfloskeln an die Seite zu schieben und Probleme ernst zu nehmen, hat hierbei wahnsinnig geholfen. So ähnlich denke ich auch bei Deiner Lebensgefährtin. Bei ihr als Medizinerin erwarte ich durchaus auch ein gewisses Maß an Empathie und das Verständnis, dass sich Probleme nicht immer rational erklären lassen. Ok, die Schulmedizin geht häufig sehr rational an Dinge heran, aber ohne Empathie wäre sie meines Erachtens nach keine gute Ärztin. Wichtig ist, dass sie dann nicht als Deine "Feindin" dasteht, Du eben aber auch nicht ihre Mitwirkung als feindselig empfindest. Ob das klappt könnt nur Ihr entscheiden .

Die To-Do-Liste wäre in diesem Kontext sicher auch für sie ein Zeichen, dass Du Willens bist, etwas zu ändern und Maßnahmen zu ergreifen. Ich habe meine Liste wie schon gesagt immer neben mir liegen, aktuell muss ich erstmal ein paar Taler sparen, um die wichtigen Dinge fortzusetzen, aber es ist schon gut, einen Zustand zu erreichen, bei dem äußere Umstände durchaus auch objektiv als Hinderungsgrund erkannt werden können.

Aber - und hier sollte man sich nicht zu viel Druck machen: das bloße Vorhandensein der Einsicht und einer solchen Liste ist noch kein Garant für immerwährende Problemlösung. Das muss dann auch allen beteiligten Seiten klar sein. Vor allem - ohne die tiefe innere Überzeugung, dass nun die Reise beginnt, wird sie auch nicht beginnen.

Für mich persönlich war und ist es wichtig, mich nicht isoliert zu fühlen und nicht den Gedanken zu haben, ich müsste mit meinen Problemen alleine bleiben. Natürlich weiß ich keinen Rat auf alle derartigen Lagen, sondern kann auch nur meine ganz persönlichen Erfahrungen niederschreiben. Raus bin ich aus der Nummer noch lange nicht, aber gefühlt jedenfalls hat sich einiges getan. Trotzdem - die verbleibende Arbeit ist immer noch ein Riesenhaufen.

Ich hoffe, ich konnte ein paar Impulse geben...

Viele Grüße

Klapptbestimmt
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[PM Klapptbestimmt]

Posted at Sun Apr 15, 2012 10:52:16
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So, hier noch ne Antwort, die eigentlich für einen anderen Thread gemein war, aber nun so weit in die persönliche Schiene gegangen ist, dass sie eher hierher gehört:

Hallo else,
ich finde es gut, dass sich auch Eltern um das Thema Gedanken machen und versuchen, ihre Mitarbeit an der Thematik zu sehen. Bei mir war es beispielsweise immer so, dass mir gesagt wurde: wir wissen, dass Du es kannst (Nachsatz: können heißt besser sein als die anderen) und wenn es nicht funktioniert, dann bist Du Schuld, weil Du ich nicht genug angestrengt hast. Das bekommt das Schema des "Funktionieren Müssens" und ich meine, wenn ich nicht ganz falsch in mich gehorcht habe, dass dieses Schema halt auch Auslöser von massiven Blockaden sein kann.
Ich habe mangels Erfahrung keine Ahnung, wie man sich als Elternteil da nun bestmöglich verhält, aber es scheint natürlich auch eine Frage der Persönlichkeit des Kindes zu sein. Es gibt Kinder, die kommen in geregelten Strukturen bestens klar. Also: alles bestens organisiert, alles geregelt, alles ordentlich. So gibt es einige Leute, die zum Beispiel in militärischen Strukturen wunderbar klarkommen und dort ihr Leben gestalten können. Es gibt aber auch die andere Seite des Kindes: laissez-faire, also das Kind mal Kind sein lassen.
Bei mir gab es in Kindheitstagen massive Organisation, ab einem Alter von 19 dann ist mir meine ganze Familie wegestorben und nur noch der Großvater lebt noch. Es gab halt immer die Erwartung, aufgrund der fehlenden Restfamilie, dass ich quasi alles perfekt mache, Karriere, viel Geld verdienen, weil: "Du kannst das doch und wir wollen noch erleben, dass aus Dir was geworden ist".
Es fehlt eben neben der perfekten Alltagsorganisation auch die emotionale Organisation. Das sind dann Punkte, die sich überschneiden und beide sehr wohl die gleiche Beachtung verdienen.
Ich bin - wie ich schon sagte - in der Frage weit weg von einem Profi, daher muss ich mich auch in professionelle Hände begeben. Der Ansatz ist sicher schon gut.
Es mag gut gemeint sein, wenn die Eltern einem das perfekte Handwerkszeug für ein perfekt organisiertes Leben mit auf den Weg geben wollen, keine Frage. Aber wenn dann die Mechanismen der Blockaden einsetzen, dann entsteht ein regelrechter Teufelskreis.
1.) Man bekommt das Leben in Perfektion vorgelebt
2.) Erwartungshaltung, dieses Vorleben selber auch auf das eigene Leben zu transformieren
3.) Blockade gegen das Funktionieren
4.) Unverständnis der Umwelt, weil man hat doch alles mit auf den Weg bekommen
5.) Die Blockade wird noch stärker
Das sind so einige kleine Schlussfolgerungen, die ich für mich irgendwo entdecken konnte, die aber selbstverständlich keine Allgemeingültigkeit besitzen und erst recht keinen Vollständigkeitsanspruch.
Nun mag man es heutzutage als Gesellschaftsforderung betrachten, dass man perfekt funktioniert. Das ist eine der Erwartungshaltungen. Zur Strafe wird man als "unfähig" gesehen, wenn das eben nicht perfekt klappt - und zwar als Mensch unfähig und nicht nur in einem Punkt. Man darf ja nicht vergessen, dass das perfekte Lebensschema für viele Menschen das absolute Steckenpferd ist. Das ist keineswegs negativ gemeint. Ich freue mich für jeden, der seinen/ihren Weg gefunden hat und wenn es in der perfekten Alltagsorganisation begründet ist. Da der Mensch aber vielfältig ist, funktioniert dieses Schema halt nicht für alle Menschen und schon gar nicht die Mechanismen, wie man einem Menschen diese Organisation "einimpft". Andere Menschen haben hohe Defizite im soziologischen oder emotionalen Bereich - das wird weit eher akzeptiert als Defizite im organisatorischen Bereich... so jedenfalls mein Eindruck. Zumal: es geht hier ja vorwiegend um Selbstorganisation und nicht zwingend um die Orga im menschlichen Zusammenleben. Wie ich schon sagte - für andere Leute läuft vieles sehr gut und bringt gute Ergebnisse. Nur für mich selber nicht.
Die menschliche Psyche ist halt allumfassend, bestimmt nunmal auch das gesamte Leben mit. Daher ist es wichtig, sich auch in "ungewohnten" Bereichen zuzugestehen, dass hier "Defekte" bestehen können. Nur dann kann daran gearbeitet werden. Wenn sie einem selber klar werden und das Umfeld auch das Verständnis mitbringt, dass es solche Probleme geben kann.
So, genug erstmal... hab noch einiges zu tun ;o).
Viele Grüße
K.b.

masterarbeit
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Posted at Sat Apr 28, 2012 15:05:08
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Hallo klapptbestimmt,

es ist wirklich toll, wie du schreibst, hab deine Beiträge gerne gelesen. Klingt auch so, als ob du dich schon länger mit der Thematik befasst und die ein oder andere Einsicht gehabt hast. Aus deinen Texten spricht viel Kraft; die wünsche ich dir weiterhin.

Herzliche Grüße

masteredthis
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Posted at Tue May 08, 2012 11:50:04
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Hallo Klapptbestimmt,

Hand aufs Herz - hast du dich wirklich geändert? Und wenn ja, inwiefern? Es ist so schwer sich zu verändern. Ich bin ja auch schon längst "aufgewacht" und weiß, dass ich so nicht mehr weiter machen kann, dass ich mich ändern muss und zum Teil auch wie es soweit erst gekommen ist. Aber ändert diese Erkenntnis was? Eher nein. Wenns mal ein wenig vorwärts läuft, kommt gleich darauf ein tagelanges Tief. Ich bin mittlerweile so weit, es zu akzeptieren, dass ich so bin. Die Frage ist, kann man sich ändern? Oder muss man nur lernen, wie man zurecht kommt im Leben, so wie man (leider) ist.

Dazu mal ein anderer Gedanke: Wir kriegen gesagt, wir seien nicht normal. Weil wir nicht konform gehen mit dem Leistungsdruck in unserer Gesellschaft. Darum fühlen wir uns schlecht. Aber mal angenommen, es gibt ein Prozentsatz der Bevölkerung, der nun mal so ist und dafür überhaupt nichts kann - leiden wir nicht viel mehr unter dem mangelnden Verständnis anderer für uns? Es ist doch so: nur wer leistet, ist was wert. Wer nichts leistet, ist also nichts wert, fühlt sich wertlos und schuldig. Was aber wenn es nicht unser Problem ist sondern das Problem der Gesellschaft? Andersdenkende und Minderheiten wurden schon immer verfolgt. Heißt es nicht leben und leben lassen? Wo ist da die Toleranz für andere? Wo ist der Platz für Prokrastinierer in einer Leistungsgesellschaft wie unserer? Es muss doch einen Platz für jeden geben. Auch Prokrastinierer können sehr leistungsstark sein - man muss nur ihre Leistung auch wahrnehmen und sie geschickt einsetzen, da wo Nicht-Prokrastinierer versagen. Leistung ist nicht nur immer alles brav der Reihe nach abarbeiten in der gegebenen Zeit. Ich weiß, Leistung ist Arbeit pro Zeit. Darum gilt ja auch Bewertung anhand Leistung als so gerecht. Aber vielleicht wäre es an der Zeit den Leistungsbegriff zu erweitern.

Klapptbestimmt
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Posted at Thu Aug 23, 2012 20:47:19
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So... hallo zusammen, ich will mich nochmal kurz melden, aber auch nur mit einem kleinen Zwischenbericht - ich will den Tag halt nicht vor dem Abend loben und es ist noch einiges zu tun, aber immerhin... ich habe vorgestern meine 140 Seiten starke Diplomarbeit im Briefkasten der Uni versenkt.

Dass alles nicht von heute auf morgen vorbei ist, das merkt man immer wieder zwischendurch - die Zeit bis zur Abgabe meiner Arbeit war zwischenzeitlich wirklich eine unglaubliche Quälerei, aber da will ich einfach nicht zu sehr jammern, denn ich denke, jeder, der eine solche Arbeit abgibt, hat einige sehr unlustige Wochen hinter sich gebracht.

Trotzdem - immerhin. Wenigstens die Arbeit habe ich abgegeben. Die Wohnung geht sogar noch und viele Dinge sind auch halbwegs ok. Übrigens - ich bleibe bei dem Tipp der To-Do Liste auf der Couch.

So, ich berichte demnächst mal mehr, aber ich muss erstmal nochn bisken relaxen und in 2 Wochen ist ja auch schon die nächste Prüfung.

Viele Grüße an alle, die hier mitgelesen und mitgedacht haben... mir hat es geholfen, das Forum zu finden und alles mal niederzuschreiben.

masterarbeit
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Posted at Wed Aug 29, 2012 22:29:13
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Suuuuuuuuuuuuuper, klapptbestimmt!!!!!!



Klapptbestimmt
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Posted at Tue Nov 06, 2012 00:27:34
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Hallo zusammen,

hier bin ich nochmal. Wie versprochen hier ein neues Update zu meiner Situation - da ja auch Fragen auftauchen in die Richtung, ob ich glaube, mich wirklich geändert zu haben und ähnliche, will ich versuchen, sachgerecht darauf einzugehen.

Erstmal vorneweg die guten Nachrichten: ich bin fertig mit meinem Studium. Es wurde allerdings nochmal eng, da ich punktuell immer noch den Hang zum Aufschieben in mir trage. Zum Glück habe ich dann wieder an das Forum gedacht, habe meinen eigenen Beitrag gelesen und wieder die Kurve gekriegt. Soweit also zum Thema - was sich wirklich ändert. Ich glaube, verbleibende Reste bekommt man so schnell nicht los, aber mit vielen Symptomen kann man umgehen.

Nun aber mal weiter - ich weiß, einige werden nun sehr ungläubig schauen, aber ich kann nur versprechen, dass sich alles so zugetragen hat, wie ich es hier beschreibe. Ich habe es einfach nicht nötig, irgendwem was vorzumachen (habe ich mir lange genug selber ), sondern mir geht es darum, auch aufzuzeigen, wie sehr sich vieles ändern kann, wenn man die notwendige Erkenntnis entwickelt, dass etwas passieren muss.

Zunächst muss ich sagen, dass ich auch an der Uni Unterstützung gefunden habe - ein offenes Wort beim richtigen Prof. wirkt manchmal Wunder. Ich muss hier betonen, dass ich nicht einen (mehr) prüfungsrelevanten Prof. meine, sondern einen extrem tollen und vertrauenswürdigen Prof, bei dem ich meine Leistungen und Prüfungen schon vor einiger Zeit abgelegt hatte. Dieser hat sehr verständnisvoll reagiert, hat mir Mut gemacht, mir Hilfe angeboten und wichtige Tipps gegeben, die letztendlich für mich Ruhe für die schwierige Abschlussphase gebracht haben. Ich habe mit dieser Hilfe 1 Diplomarbeit, 5 Klausuren, 1 mündliche und eine umfangreiche Hausarbeit aufs Parkett gelegt und meinen eigentlich schon ast schwindenden Abschluss doch noch durchziehen können. Ja natürlich klingt hier ein gewisser Stolz auch mit, aber der Kern ist eher, dass die Zuwendung zu Hilfe und die Ehrlichkeit seiner Umwelt gegenüber durchaus Potenziale eröffnen können, die man selber nicht ür möglich hält. Die befürchtete Missachtung als Versager ist gänzlich ausgeblieben, ich habe tolle Unterstützung erfahren und nur so war dies alles möglich.

Weiterhin - mein Arbeitgeber hat mir einen guten Arbeitsvertrag angeboten. Auch hier war ich selber eigentlich eher in Selbstzweifeln verpackt und habe mich irgendwie verzerrt wahrgenommen, jedoch hat mir mein Chef klar gesagt, dass sie meine Arbeit schätzen und mich fest anstellen wollen. Auch mit der Gage bin ich zufrieden. Zudem konnte ich noch kleine Zugeständnisse an mein liebstes Hobby erwirken (Hilfsorganisation). Hier werde ich auch Unterstützung bekommen.

Allerdings wird im Dezember noch ein ganz anderes neues "Hobby" oder viel mehr eine Lebensverantwortung hinzukommen. Nachwuchs hat sich angekündigt und im Dezember ist es soweit.

Es ist total irre, sich den Verlauf der letzten Monate nochmal durchzudenken und manchmal braucht man ein Quentchen Glück im Leben, das richtige Forum im richtigen Moment zu finden, eigene Erkenntnisse zuzulassen und Freunde sowie Verbündete zu haben, die einem trotz allem keine Vorwürfe machen, sondern einem die Hand reichen und so Türen aufmachen, die man seit Jahren für verschlossen gehalten hat.

Eines bleibt aber bestehen - meine Lieblings-To-Do-Liste auf der Couch. Mittlerweile enthält sie noch 10 Punkte, die allerdings zum Teil aus "nice to have" Punkten bestehen und zu einem zweiten Teil aus Punkten, die nicht sofort regelbar sind bzw. termingebunden (Geburtsvorbereitungskurs zum Beispiel ).

Was ich damit sagen möchte... Mir geht es nicht im Geringsten darum, einen Spruch abzulassen, den wir alle kennen und hassen: "man muss nur wollen". Das ist weitgehend Blödsinn, wenn man so in der Wüste steckt wie ich es getan habe und viele immer noch tun. Ebenfalls kann ich nicht raus ruen "es ist vorbei". Denn das Verhalten ist ganz sicher nicht vollständig vorbei und sucht sich immer noch zwischendurch seinen Weg. Dies sollte man nie vergessen. Mir geht es viel eher darum zu sagen, dass mir einige Dinge geholfen haben:

1.) Ehrlichkeit meinen Freunden gegenüber
2.) Ehrlichkeit bestimmten anderen - vertrauenswürdigen - Menschen gegenüber
3.) Glückliche Lebensumstände... manchmal darf man schlicht auch Glück haben
4.) Eine To-Do-Liste auf der Couch (die werd ich echt nie vergessen). Hier überfuhr mich die schiere Menge der offenen Punkte zu Beginn - aber die alltägliche Präsenz hat mich dazu gebracht, alles nach und nach abzuarbeiten. Man darf die Liste nur nie wegräumen und nein "sieht ordentlicher aus" ist schlicht und ergreifend kein viabler Grund, die Liste ins Regal zu schieben. Die gehört ins tägliche Blickfeld und sonst nirgendwohin!!

Wie es nun weitergeht? Ich weiß es nicht genau oder traue micht nicht, es zu wissen. Kind auf dem Arm, Job in der Tasche, ein neues Leben? Keine Ahnung. Der Pessimist sagt - vielleicht kommt alles noch ganz anders. Aber - meinen Abschluss... den hab ich .

Ich werde auf jeden Fall hier weiter reinschauen, denn dieses Forum war ein so entscheidender Knackpunkt für mich, dem ich so viel zu verdanken habe - Eure Ehrlichkeit über Eure eigene Situation, Menschen, die sich freuen, wenn wildfremde andere Menschen etwas erreichen... ich werde sicher immer mal wieder reinschauen, vielleicht kann ich irgendwas sagen, vielleicht werde ich selber nochmal schreiben wollen oder müssen, wenns mal wieder eng wird.

Danke bis hierher auf jeden Fall schonmal für Eure Beteiligung und Euer offenes "Ohr" oder Auge .

Viele Grüße

Klapptbestimmt

Klapptbestimmt
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Posted at Tue Nov 06, 2012 01:12:43
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So, nach meinem eigenen Posting nochmal auf ein anderen zurückkommen: sorry, dass ich erst nach so langer Zeit darauf zurückkomme, aber ich will natürlich auch hier meine Gedanken dazu loswerden.

Quote:
Hallo Klapptbestimmt,

Hand aufs Herz - hast du dich wirklich geändert? Und wenn ja, inwiefern? Es ist so schwer sich zu verändern. Ich bin ja auch schon längst "aufgewacht" und weiß, dass ich so nicht mehr weiter machen kann, dass ich mich ändern muss und zum Teil auch wie es soweit erst gekommen ist. Aber ändert diese Erkenntnis was? Eher nein. Wenns mal ein wenig vorwärts läuft, kommt gleich darauf ein tagelanges Tief. Ich bin mittlerweile so weit, es zu akzeptieren, dass ich so bin. Die Frage ist, kann man sich ändern? Oder muss man nur lernen, wie man zurecht kommt im Leben, so wie man (leider) ist.


Schwierige Frage. Wie es klappt, sich zu ändern, habe ich ja in meinen anderen Postings schon durchscheinen lassen. Ich kann Dir auch nicht sagen, wie sich meine Erkenntnis damals entwickelt hat. Ich habe nur nach dem Entdecken dieses Forums hier einen regelrechten "Schockzustand" durchgemacht. Dabei stand nicht nur zur Debatte, wie ich mich die letzten Jahre verhalten habe, sondern vor allem die Erkenntnis, dass dies ein ja quasi "krankhafter" Zustand ist. Dieses krankhaft schreibe ich deswegen, weil es eben nicht darum geht, sich krank zu fühlen, sondern weil es eine gewisse Selbstakzeptanz schafft. Du bist kein Versager, weil Du Dich so verhalten hast, sondern Du hast ein LEGITIMES Problem, welches einer Handlung bedarf. Das ist der Knackpunkt. Du bist nicht unfähig, nicht dumm oder "verrückt"... es ist in unserer Gesellschaft total normal, ein Gipsbein als einen behandlungswürdigen Zustand zu erkennen und es ist völlig normal, dass es Zustände gibt, die einem Kummer und Sorge bereiten und Maßnahmen erfordern (weil sie eben "Schmerzen" verursachen).

Ich glaube daran, dass es möglich ist, zumindest die schwerwiegendsten Symptome zu lindern und somit vor allem grobe Schwierigkeiten erstmal zu verhindern.

Meine Freunde wissen zum Beispiel, dass ich kein wöchentlicher Melder bin. "Ruf ich später an" ist so ein beliebter Satz. Werden dann Tage draus. Meine engsten Freunde habe ich seit 20 Jahren und sie kennen mich. Ich kann in diesem Punkt so sein, wie ich bin. In anderen Punkten kann ich nicht so sein, weil es mir Probleme macht, Briefe jahrelang nicht zu öffnen, weil es mir Probleme gemacht hat, meine Dipl im ersten Versuch zu verbaseln. Es gibt also nicht nur schwarz und weiß. Aber eines stimmt schon - eine gewisse Akzeptanz ist notwendig und zwar nicht mit dem Argument "ich akzeptiere, dass ich ein Verlierer bin", sondern "ich akzeptiere, dass es legitim ist Probleme zu haben".

Quote:
Dazu mal ein anderer Gedanke: Wir kriegen gesagt, wir seien nicht normal. Weil wir nicht konform gehen mit dem Leistungsdruck in unserer Gesellschaft. Darum fühlen wir uns schlecht. Aber mal angenommen, es gibt ein Prozentsatz der Bevölkerung, der nun mal so ist und dafür überhaupt nichts kann - leiden wir nicht viel mehr unter dem mangelnden Verständnis anderer für uns? Es ist doch so: nur wer leistet, ist was wert. Wer nichts leistet, ist also nichts wert, fühlt sich wertlos und schuldig. Was aber wenn es nicht unser Problem ist sondern das Problem der Gesellschaft? Andersdenkende und Minderheiten wurden schon immer verfolgt. Heißt es nicht leben und leben lassen? Wo ist da die Toleranz für andere? Wo ist der Platz für Prokrastinierer in einer Leistungsgesellschaft wie unserer? Es muss doch einen Platz für jeden geben. Auch Prokrastinierer können sehr leistungsstark sein - man muss nur ihre Leistung auch wahrnehmen und sie geschickt einsetzen, da wo Nicht-Prokrastinierer versagen. Leistung ist nicht nur immer alles brav der Reihe nach abarbeiten in der gegebenen Zeit. Ich weiß, Leistung ist Arbeit pro Zeit. Darum gilt ja auch Bewertung anhand Leistung als so gerecht. Aber vielleicht wäre es an der Zeit den Leistungsbegriff zu erweitern.


Dass die Gesellschaft mit so etwas nicht gut umgehen kann, ist allerdings auch normal. Stell Dir vor, dass jeder Mensch ein Bedürnis hat, sich selber zu rechtfertigen. Die einen mehr, die anderen weniger stark ausgeprägt. Eines bleibt - "faulenzen" oder "Arbeitsunfähigkeit" zu verteufeln betont in erster Linie das eigene Leben und schafft Distanz zum "faulen" Volk. Da dann meist eine mangelnde Akzeptanz psychischer Probleme dazu kommt, entwickelt sich halt schnell eine sehr abgeneigte Stimmung.

Man sieht aber auch als Betroffener, wie schwer es ist, seinen Zustand zu akzeptieren, weil er nicht "regelkonform" erscheint.

Ein Problem ist zudem, dass der Mensch (oder sagen wir: viele Menschen) grundsätzlich Angst haben, betrogen und beschissen zu werden. Nicht umsonst werden Hartz IV Leute oftmals beschimpft, weil sie als Schmarotzer gelten oder psychisch kranke Menschen als "verrückt" abgestempelt.

Wenn dann ein Mensch mit Procrastination um die Ecke kommt, dann haben sauviele Leute sofort das "faule Sau" auf den Lippen. Denn - sie halten es für wahrscheinlicher, dass jemand eine Ausrede für seine Faulheit sucht, als dass dieser jemand wirklich ein Problem hat. Hier kann unsere Gesellschaft oftmals nicht mit umgehen und bestimmte Medien tun ihr übriges dazu, dass das Verständnis nicht gerade wächst. Wenn Du dann jemanden triffst, der gegebenenfalls schon als Jugendlicher an die Schüppe musste, dann ist es fast selbstverständlich, dass er "Faulenzer" angreift, denn - wie schon erwähnt - es geht auch um die Verteidigung seiner eigenen Laufbahn und seines eigenen Werdegangs als "richtig".

Das ist die Ausprägung der Leistungsgesellschaft. Glaub mir - viele Menschen sind eigentlich gar nicht für die reine Leistungsgesellschaft gemacht. Viele leiden, entwickeln Burn-Outs oder beißen sich durch, arbeiten wie die Sau und schaffen so auch was. Dies allerdings verleitet dann dazu, diese Ansprüche auch eben an andere zu stellen. "Was ich kann, erwarte ich auch von anderen". Dann greift wieder die Verteidigung des eigenen Seins UND die Angst, den Ausreden eines Faulenzers aufgesessen zu sein. Viele Menschen würden Dich eher beleidigen, als Gefahr zu laufen, Dich zu verstehen und "verarscht" zu werden.

Die gezielte Entwicklung bestimmter Fähigkeitsbereiche ist und bleibt ein andauerndes Problem in unserer Gesellschaft. Ich glaube, wir verschenken ein immenses Potenzial, weil die Leute in zu starre Formen gedrückt werden. Ich muss bei sowas immer an die IBM Fellows denken - klar haben die auch Großes für das Unternehmen geleistet, aber ein IBM fellow hat quasi kaum noch Vorgesetzte, er kann machen, was er will und muss im Grunde genommen nach einigen Jahren seine Ergebnisse präsentieren, um seinen Status zu behalten. Wie er das macht - ist eigentlich sein Bier. Nun nimm mal eine solche Stelle und erzähl die an einem normalen gutbürgerlichen Stammtisch... wie ich finde, ein gutes Beispiel für den Leistungsbegriff .

Allerdings stelle ich es mir auch nicht einfach vor, eine gute Förderung für Prokrastinierer zu generieren. Also ich wüsste nicht, wo ich sonderlich gut dadurch gewesen wäre - im Gegenteil, ich habe mich eher selber immer nur geblockt. Ich glaube, im Endeffekt wird eine Mischform sicher nicht verkehrt sein. Die schlimmsten Symptome durchaus in den Griff kriegen und dann gezielt fördern kann vielleicht sogar helfen. Aber hier fehlt mir dann doch die Erfahrung, um mehr als meinen eigenen Zustand sagen zu können.

Ich glaube sogar, dass ich als IBM Fellow gar nicht so schlecht wäre, weil ich so viel Freiheit hätte... aber ich würde auch befürchten, dass ich dann auch wieder erst kurz vor Schluss anfangen würde .

So, genug erstmal, muss ins Bett. Bis die Tage .

Viele Grüße

Klapptbestimmt

masterarbeit
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[PM masterarbeit]

Posted at Fri Nov 09, 2012 01:01:14
Edit post|Quote
Hi klapptbestimmt,

sag mal, das hört sich ja regelrecht *traumhaft* bei dir an - Unterstützung von Prof, Abschluss, Job, Hobby, KIND - TOLL!

Ich find das auch wichtig, so positive und energiegeladene Beiträge wie deine letzten zu lesen, das motiviert auf jeden Fall und macht Mut.

Aber hauptsächlich freu ich mich *mega* für dich - schön, wenn einen das Leben so beschenkt (bzw. hast du es dir bestimmt auch auf die ein oder andere Weise verdient).

Ich wünsch dir Erfolg bei deiner Arbeit & eine einfache Geburt mit anschließender stolzer Elternschaft - genieß mal noch den ausreichenden Schlaf, den ihr jetzt noch abkriegt...

Liebe Grüße
masterarbeit

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