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Abschnitt 33


Kaum vorstellbar, daß sie hier fast jeden Tag mit dem Kinderwagen herumlief. Alles wirkte so anders, so fremd. Da, zwischen der Apotheke, die jetzt dunkel war und der Boutique, in der sie als gute Kundin wohlbekannt war, war eine Kneipe. ,,Die blaue Eule'' strahlte in roten leuchtenden Neonbuchstaben über der schwarzen eichenen Eingangstüre. Warmes gelblich rotes Licht strömte aus den großen Fenstern und im Innern drängelten sich die Gäste in schicken Kleidern. Sollte sie hineingehen? Ja, es wirkte einladend. Ja, die Leute wirkten so belustigt. Nein, es war zu voll, und sie kannte niemanden. Später könnte sie ja. Wie wär's, wenn sie erst noch ein wenig herumliefe, noch die etwas abgekühlte frische Abendluft genösse. Vielleicht sollte sie doch mal nachschauen, was im Kino gespielt würde.

Verwunderlich, daß so wenig auf den Bänken um den Brunnen saßen. Ihr gegenüber ein Liebespaar. Kinder, dachte sie. Sie auf seinem Schoß und ihre Münder fest übereinander und seine Hand umspielte ihre nackten Oberschenkel. Links von ihr ein Rentner mit einem Hund, der vom Brunnenwasser schlürfte, während sein Herrchen mal auf das Pärchen starrte, mal auf Veras Beine. Reflexartig zerrte sie an ihrem Rock, um ihn weiter Richtung Kniee zu ziehen, preßte ihre Beine zusammen. Selbst in diesem Alter. Sie schaute nach oben zu den Kronen der Bäume, den Brunnen umgaben. Riesig groß waren sie, komisch, daß sie sie sonst noch nie so richtig wahrnommen hatte, wenn sie mit den übrigen Einkaufslustigen durch die Straßen eilte. Eigentlich doch nicht so verwunderlich ihre Augen waren immer mehr bodenwärts gerichtet, Buggy mit Markus, und immer auf der Suche nach Vanessa, daß sie nicht plötzlich zurückbleibt. Die Blätter schillerten in merkwürdigen Farben, und die Baumkronen verschmolzen mit dem rabenschwarzen Himmel. Ab und zu angestrahlt von Scheinwerfern. Autos? Wieso können die so hoch. Der Verkehr war deutlich geringer, aber die Autos, auf der Suche nach den, wie immer, knappen Parkplätzen, waren schrecklich laut, quietschende Reifen beim Bremsen und beim schnellen Durchstarten, und alle fuhren viel schneller als tagsüber, oder kam es ihr nur so vor?

Morgens hätte sie schon viele Bekannte getroffen, aber jetzt herrschten die Sechzehn bis Fünfundzwanzigjährigen: Schüler, Studenten, Lehrlinge, die morgens nur spärlich anzutreffen sind. Ihre Freundinnen und Bekannten, Hausfrauen und Mütter mit ihren Kindern saßen wohl zu Hause vor den Fernsehgeräten. Der Alte starrte immer noch, konnte der überhaupt noch in diesem Alter. Sie fröstelte, es war doch etwas kühl, wenn sie so ruhig sitzte. Also, die ,,Blaue Eule''.

Was war da im Gebüsch? Ihr Puls raste. Bloß eine Katze! Diese blöden Viehcher sind auch überall. Wer war da hinter ihr? Die Schritte kammen näher. Die Typen sehen gar nicht friedlich aus. Jetzt pfeifen die auch noch.

--,,Hey, hättest du keine Lust mit uns ... '', alle drei lachten, und sie merkte, daß sie stark betrunken waren. Besser weg von ihnen, ignorieren, bloß keine Antwort geben.

--,,... ich meine natürlich mit uns einen trinken zu gehen? Was hast du denn gemeint?'', und sie gröhlten noch lauter.

Der Alte mit dem Hund bog in eine Seitenstraße ein, er hatte sich sichtlich beeilt, wollte wohl im Falle eines Falles nicht in der Nähe sein. Er könnte doch in seinem Alter eh nichts gegen die drei ausrichten, und sein liebes Hündchen, die wären im Stande ...

Bloß nicht laufen, noch etwa dreißig Meter, dann wäre sie in der ,,blauen Eule'', und vielleicht würden die Kerle ja weiterziehen.

Bis elf Uhr wollte sie eigentlich in der Stadt bleiben und nun war sie schon um kurz vor neun vor ihrer Haustüre und zögerte zu klingen. Sie hatte es nicht lange ausgehalten in der Kneipe. Als sie zuerst durch die Fenster geschaut hatte, hatte alles so nett und freundlich gewirkt, aber als sie dann nach ihrer Panik drin war, wirkte alles so abweisend, die Leute wirkten unnahbar und abweisend. Aber es waren doch die gleichen Leute gewesen. Ein schrecklicher Lärm aus dem Stimmengewirr von mindestens hundert Gästen und lauter, plärrender Musik. Der dicke Zigarettenrauch brannte in ihren Augen und es wurde ihr beinahe übel vom starken Schweiß- und Biergestank. Oder war es nur die Anstrengung und die Angst gewesen. Als auch nach etwa zwanzig Minuten die drei nicht in der Kneipe erschienen waren, nutzte sie die günstige Gelegenheit mit drei anderen Frauen die Räumlichkeiten zu verlassen. Sie hatte es nicht zu hoffen gewagt, aber die Frauen gingen wirklich, rein zufällig fast zu ihrem Auto. Lediglich die letzten hundert Meter mußte sie alleine zurücklegen. In ihrem Auto fühlte sie sich wieder sicher.

Wieso sollte sie überhaupt klingeln? Sie würde nur riskieren, die Kinder aufzuwecken. Sie hatte doch einen Schlüssel.

--,,Hey schon zurück? Ich habe doch gesagt, daß du dir ruhig lange Zeit lassen kannst? ... '', fragte Francois, der ihr vom Sofa fröhlich lachend entgegenkam.

--,,Was ist los mit dir, du siehst so mitgenommen aus?'', fragte Francois.

--,,Och bin so froh, wieder hier zu sein!'', ihr Kopf lag an Francois Schulter, und später wußte sie nicht mehr, wie es dazu gekommen war. Weinend schluchzte sie:

--,,Die Nacht ... ich hatte Angst ... vor der Dunkelheit ... es war so schön, zuerst war's so schön und dann plötlich ... wie ein kleines Mädchen! ... Laß mich bitte nicht los ... ''

Die Hand die bisher nur zaghaft auf ihrem Rücken lag, verstärkte ihren Druck und seine Rechte hielt ihren Kopf. Liegend dann auf dem Sofa, ihr Kopf auf seinem Schoß, ihre Augen fest verschlossen. Seine Hände auf ihrem Kopf und er roch gut. Nichts denken, nicht bewegen, einfach so daliegen.



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