Warum gerade sie? So viele Leute sind unterwegs und ausgerechnet über sie sind sie hergefallen. Ja, hergefallen war das richtige Wort, irgendwie hatte das ganze was von einem Überfall und irgendwie hatte sie auch ein bisschen Angst gehabt, wenn es ihr jetzt auch lächerlich erschien. Diese Masken wirkten wirklich bedrohlich von Nahem. Woher sollte sie wissen, daß alles nur spaßhaft sein sollte, wenn sie durch die Schlitze keine Augen sehen kann, wenn sie nur hölzerne Fratzen mit diabolischem Grinsen sieht. Sie hatten es auf sie abgesehen gehabt. Von weitem kamen sie gezielt auf sie zugelaufen. Selbst Walter, der doch direkt neben ihr war, haben sie ziemlich verschont. Gut, einmal hat ihm die eine der dreien, aber gerade die, die sich ansonsten eher zurückhielt, übers Haar gestrichen. Aber dazu hat sie noch nicht mal ihren Bastbesen genommen.
Ja, da hatten sie recht, sie wollte nicht sein wie sie! Zwei Tage lang lag ihre Mutter auf der Intensivstation und Vera konnte nicht mehr lachen. Sie konnte plötzlich nicht mehr verstehen, daß ihr früher Fasching so viel Freude gemacht hatte. Nun war sie mit Felix einer Meinung. Der verachtete schon immer den ganzen Fasching. Bis auf die Firma, da mußte er hin, und sie mit ihm, als sie dort einen närrischen Abend für die Belegschaft gemacht hatten. Da mußte er sich halt sehen lassen. Er gehörte ja gewissermaßen zu den Veranstaltern. Wie der da mitgemacht hat, manchmal glaubte sie selbst, daß es ihm Spaß machte. Die mußten sie gekannt haben. War das eine nicht auch die Stimme von Andrea? Aber die Figur, war das auch deren Figur. Äußerst aufreizend wirkte sie in ihrem Hexenkostüm. Den Eindruck konnte auch der alte Kittel nicht stören. Der war ja auch recht kurz. Die beiden anderen Hexen trugen alte, zerschlissene Röcke, und ihre alte Strumpfhose mit den zahllosen Löchern betonte nur ihre wohlgeformten Beine. Sexlos wirkten die anderen, aber ihr Kittel war eng geschnürt und betonte ihre Brüste. Nein, das war es nicht alleine, alles, wie die sich bewegte, wie die redete, alles wirkte, ja, lasziv. Vera fand es liederlich. Endlich, jetzt konnte sie zum Waschbecken.
Ekelhaft, das war ihr gar nicht aufgefallen. Die hatten ihr das Zeug so gar in die Haare geschmiert. Das hat doch wirklich nichts mehr mit Spaß zu tun. Verdammt, da konnte sie jetzt nichts machen, wie sollte sie ihre Haare wieder trocken kriegen. Der Föhn reagierte nicht, als sie auf ,,PUSH'' drückte.
--,,Das hat ewig gedauert bis ich überhaupt mal ans Waschbecken konnte.'', entschuldigte Vera ihr langes Fortbleiben.
--,,Macht nichts. Ich hab' mir mal hier die Sportsachen angeschaut. Da kann man ja ein Vermögen ausgeben. Da gibts Tennisschläger die kosten fast tausend Mark.''
--,,Da hast du recht! Aber Gott-sei-dank haben wir ja die ganze Ausrüstung zusammen. Da muß man halt nur mal was austauschen, wenn's kaputt ist. '', sagte Vera, die sich nach dem Waschen wieder bedeutend besser fühlte.
--,,Tennisspielen hat dir doch auch immer viel Spaß gemacht? Geht ihr eigentlich immer noch regelmäßig spielen ... Wie hießen noch die Beiden mit denen ihr immer ... ''
--,,Moni und Chris!''
Tennis machte ihr immer noch Spaß. Soviel Spaß, daß sie sich immer schon die ganze Woche darauf freute. Bei Felix sah das anders aus. Er war einfach zu oft weg, und irgendwie hatte sie das Gefühl, daß er nicht mehr richtig Lust hatte zu spielen. Manchmal dachte sie, daß er in der letzten Zeit seine Termine extra so legt, daß er nicht mitspielen kann. Wenn er eifersüchtig auf Francois wäre, wie sie es ab und zu zu spüren glaubte, warum spielte er dann nicht selbst mit? Warum überließ er das Feld Francois?
--,,Die Teammitglieder wechseln, aber das Spiel geht weiter!'', hatte Chris lachend einmal gesagt. Es muß wohl beim zweiten oder dritten Mal gewesen sein, als Francois mitspielte. Sie hatte ihn darauf gefragt, wie er das meine, obwohl sie ahnte, was er meinte.
--,,Damals hast du Susanne abgelöst ... Ich meine beim Tennis und nun spielt Francois für Felix!''
Wenn bloß nicht sein ,,Ich meine beim Tennis'' gewesen wäre, dann wäre sie wohl nicht errötet. So war klar, daß er und wahrscheinlich ebenso Moni auch über andere Möglichkeiten nachdachten. Vielleicht nicht ganz ernsthaft, aber immerhin. Die Parallele mit Susanne war ja auch beunruhigend für sie. Felix hatte Susanne fallen gelassen, als er sie kennenlernte. Jahrelang war er mit Susanne zusammen gewesen, sogar die letzten Jahre vor dem Abitur. Vera war so geschockt, weil sie spürte, daß es passieren könnte, daß sie Felix wegen Francois verlassen könnte. Sie war so entsetzt, weil sie sich dagegen wehrte, diesen Schritt zu tun. Daß Felix damals Susanne so einfach mir nicht dir nichts verlassen hatte, hatte Moni und Chris irritiert und es war wohl auch der Grund gewesen, weshalb sie ihr beim ersten Tennisspiel beinahe feindselig gegenüberstanden, dachte Vera. Verdammt lange hatte es gedauert, bis sie mit ihr warm geworden waren. Vielleicht hing es auch damit zusammen, daß sie keine Studentin war. Sie war ja nur so eine Tippse. Und ihre Art sich anzuziehen hatten sie auch immer verachtet. Aber so vergammelt wie die hätte sie einfach nicht rumlaufen können. Wenn damals nicht Felix gewesen wäre, der unbedingt die Freundschaft mit Chris hatte aufrecht erhalten wollen, dann wäre dieses Tennisteam wohl zusammengebrochen. Komisch, dachte sie, in den letzten Jahren war sie es gewesen, die die Verbindung mit den beiden aufrecht erhalten hatte.