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Abschnitt 5


Dr. Wiedenkamp, der schroffe aber freundliche Herr, ein paar Jahre vor seiner Pensionierung, den alle, die ihn kennen wegen seines beeindruckenden Fachwissen bestaunen. Aber viel zu wissen alleine kann recht nutzlos sein, wie es die allgemeine Erfahrung lehrt, wenn jemand unfähig ist, seine Kenntnisse praktisch umzusetzen. Da es ihm auch an letzter Fähigkeit keinesfalls mangelt, gelang es ihm immer wieder im Laufe seiner jahrzehntelangen Betriebszugehörigkeit neue und bessere Produkte zu initiieren. Es ist wohl auch völlig zutreffend, wenn einige ihn überschwänglich als den Motor der betrieblichen Innovation bezeichnen. Ohne ihn hätte die Firma schon vor Jahrzehnten ihre Konkurrenzfähigkeit verloren! Eine Tatsache, die keiner ernsthaft bezweifeln konnte. Dennoch tun es allzu viele aus eigener Ignoranz oder aus Neid, meistens auch eine kräftige Mixtur aus beidem, .

Nach alter Sitte schüttelt er noch immer gerne seinen Kollegen die Hände. Grüßt noch, wie früher, mit Guten Morgen und Guten Tag, immer mit dem Namen des Mannes oder der Frau verbunden. Starrköpfig weigert er sich auf das doch so viel bequemere ,,Hi'' oder wenigstens auf ,,Hallo'' umzustellen. Einfach so ,,Hallo'' sagen, war doch so simpel, und man braucht noch nicht einmal dem Namen des so Gegrüßten zu kennen. Der so Adressierte merkt nicht, daß man seinen Namen vergessen hat, sich vielleicht nie gemerkt hatte, nie wert gefunden hat zu merken. Die altmodischen Begrüßungszeremonien verhindern auch jegliche Kontinuität, sie machen deutlich, daß es eine Pause gegeben hatte, daß man zu Hause gewesen war, daß man ein Wochenende ohne die Firma verbracht hatte. Wie anders die neue amerikanische Variante, beiläufig dahingemurmelt störte sie kaum, ließ die Illusion, daß alles weitergegangen sei, alle immer dem Produktionsprozeß zur Verfügung stehen. So oder ähnlich stellt er es dar, falls ein Gespräch mit oder ohne seine Hilfe in die passende Richtung läuft.

Dr. Wiedenkamp ist der klassische Betllerphilosoph. Lumpen sind es zwar nicht, in denen er rumläuft, aber viele würde einen Großteil seiner Kleider sofort dazu machen, wären es die Ihren. Auch läuft er nicht mit dickem Hanfseil statt Gürtel herum; meist trägt er keinen Gürtel, und da er auch keine Hosenträger mag, hängen seine Hosen fast immer merkwürdig tief. Hinten flattert meist über seiner Hose ein -- wie sollte es auch anders sein -- ungebügeltes Hemd. Hemden in den merkwürdigsten Farben, wild kontrastierend zu seiner übrigen Kleidung, und in Opposition mit den Modebewegungen der jeweils letzten Jahre. Bübchenblau oder Mädchenrosa sind wohl seine Lieblingsfarben. Und zu allem überfluß leuchtet ab und zu, man braucht gar nicht allzu genau hinzuschauen,irgendwo ein Kaffeefleck oder zum Beispiel die Reste von einem Früstücksei.

Kaum zu glauben, daß er promoviert habe, wurde unter vorgehaltener häufig getuschelt, oder auch, so seien sie halt, die Doktoren. Dem Armen fehlt halt eine Frau, sagten einige. Und andere wunderte es überhaupt nicht, ja, sie sahen gerade in seinem lotterlichen Äußeren die Ursache dafür, daß er keine gefunden hatte, daß er vielleicht auch gar keine wollte, daß er also nie gesucht haben könnte, steht bei ihnen ausser Zweifel, denn sonst müßte ja war sein, was manche munkeln, daß er möglicherweise auch schwul sein könne. Aber für schwul hielten ihn wirklich nur wenige, denn absolut nichts, außer seinem ledigen Status sprach dafür. Die Mathematik war seine Frau, immer noch heißgeliebt nach vielen Jahrzehnten, und er hatte auch eine Geliebte, nämlich die Dramen von Shakespeare. Seine Tragödien und Komödien er liebt sie gleichermaßen und bei den spärlichen Gelegenheiten, wo man ihn mal privat erleben kann, denn prinzipiel meidet er Einladungen zu Empfängen und Geburtstagsparties, fasziniert er und frustriert zum Teil auch die anderen Gäste mit seiner überragenden literarischen Bildung. In seiner Freizeit arbeitet er an einer Neuübersetzung von Shakespeares Dramen, und kann wohl auch beliebige Passagen aus Macbeth, Hamlet oder Othello in Deutsch aber auch in Englisch frei vortragen, allerdings ohne jegliche schauspielerische Qualitäten.



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