Zu sagen, sie liebt ihn, ist irreführend. Platonisch, oder besser, sie liebt ihn wie einen Vater. Ängstlich und ein wenig scheu hatte sie wohl gewirkt, als sie an ihrem ersten Arbeitstag den zweiten Schreibtisch in Heinz wiedenkamps Zimmer zugewiesen bekommen hatte. ,,Unscheinbar, eine graue Maus, aber ganz sympathisch'' waren die Gesprächsfetzen die sie einmal hörte, bevor die Unterhaltung der dort Anwesenden abrupt abbrach, als sie den Aufenthaltsraum betrat, um sich eine Tasse Kaffee zu holen. ,,Graue Maus'' hatten sie gesagt, aber sie meinten wohl, keine dicken Titten, keine sexy Figur, nicht lasziv, nicht willig oder nicht interessant für sexuelle Phantasien.
Es störte sie, wenn manche Männer sie wie ein reines Sexobjekt anstarrten, denn das waren die, die ihrer Meinung nach allen Frauen nachgierten, die nicht wählerisch waren. Am meisten störte es sie , daß sie meisten Männer sie im Gegensatz dazu überhaupt nicht als Frau wahrnahmen. Vor allem, wenn sie zusammen mit Simone war und die Männer verstohlen oder auch offensichtlich auf deren üppigen Busen starrten, oder begierig an deren ausgepägten Hüften klebten und kein Blick für das Aschenputtel an ihrer Seite. Bei Wiedenkamp fühlte sie sich wohl, er betrachtete sie als Frau, respektvoll und ohne Gier, und er nahm sie auch als Kumpel.
--,,Diesmal werden sie Braggard über die Klinge springen lassen. Malter sägt schon lange an seinem Stuhl!'', sagt Wiedenkamp und wird von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt.
--,,Du arbeitest zu viel! Du solltest dich mehr schonen und vor allen Dingen weiß Deine Arbeit eh niemand zu würdigen!''
--,,Erwarte ich ja auch gar nicht! ...Schon lange nicht mehr. Was ich mache, mache ich weil es mir Spaß macht. Wenn man mich zwingen würde eine blöde Arbeit zu machen würde ich kündigen.'' und nach einer Weile sagte er dann: ,,Außerdem, deine Leistung kommt doch auch nicht richtig zur Geltung! Braggard sieht sie, aber du stehst ansonsten völlig in seinem Schatten. Auch jetzt, er schreibt seinen Namen unter die Folien und von die redet niemand!'', sagt Wiedenkamp im Auto neben ihr.
--,,Diesmal ist es mir ganz lieb wenn er seinen Namen unter diese Folien schreibt! Das kannst Du mir glauben! Dann muß ich wenigstens nicht für diese geschönten Statistiken gerade stehen. Nach seiner Kostenfunktion sinken die Kosten in drei Jahren nahezu auf Null herab! ...''
--,,Kann ja hinhauen! Falls wir pleite gehen!''
Die Chefs seien wie Parasiten und da sei auch Braggard keine Ausnahme, wenn er ihm auch viel angehmer als andere sei. Sie lebten davon, daß sie die Leistung der unter ihnen dienenden, als ihre eigenen verkauften. Wenn sie es nicht täten, seien sie schnell weg vom Fenster. Viel wichtiger als echte Leistung sei es, ein guter Blender zu sein. Er sei nicht neidisch auf deren Arbeit, er wollte gar nicht an Braggards oder gar an Sonntags Stelle sein. Ihre Arbeit würde ihm überhaupt keinen Spaß machen. Aber was ihn immer ärgere sei, daß deren Arbeit so ungleich höher bewertet werden würde. Dabei denke er nicht ans Geld. Sie kenne ihn ja, und wisse, daß er alles zum Leben habe, was er wolle. Ihm käme es nur auf die Anerkennung und das Lob an.
--,,Braggard hat mich immerhin zu seiner Stellvertreterin ernannt! Insofern erkennt er ja meine Leistungen an!'', meint Raffaella.
--,,Ich hoffe, daß Du recht hast! Unser Kuckucksei und Malter liegen in den Startlöchern.''
Felix pflegte er meist, aber nur bei ihr, als Kuckucksei zu bezeichnen. Von Mohler in ihre Abteilung gesteckt, um die Belange der Geschäftsführung besser durchsetzen zu können. Bei Felix Schmied war sie sich nicht richtig sicher, ob Wiedenkamps Mißtrauen gerechtfertig war, aber sie verstand seine Warnung gegenüber Malter. Schon damals, als sie in der Firma begonnen hatte, wunderte sie sich über Wiedenkamps Verhältnis zu Malter. Sie hatte schnell gelernt, daß er Kollegen und Kolleginnen des öfteren mit Ironie und Sarkasmus begnete. Immer direkt, im Beisein seiner Opfer, nie hinter deren Rücken. Meistes konnte sie nachvollziehen, konnte verstehen, was seine Kritik und Spott heraufbeschworen hatte und in den seltensten Fällen, fand sie seine Reaktion überzogen oder ungerechtfertigt. Nur bei Malter war es anders. Hier waren seine Antworten meist schroff und fast feindlich, auch wenn Malter, ihm nur eine anscheinend unschuldige Frage gestellt hatte. Auf ihre Nachfragen erhielt sie immer nur ausweichende Anworten von Wiedenkamp, und monatelang rätselte und spekulierte sie wieso er Malter wohl so haßte. Was Malter getan haben könnte. Die Wahrheit, die sie erst nach über einem halben Jahr von Heinz erfahren hatte, war nie ein Teil ihrer Spekulationen gewesen. Die Wahrheit könnte als Filmskript dienen, wenn man das Ende noch dramatischer gestalten würde. Im Film könnte Heinz zum Beispiel Malter im Streit erschlagen oder erschießen, und er hätte das volle Verständnis der Zuschauer.
--,,Malter ist ein gefährlicher Idiot!'', hatte Wiedenkamp gesagt.
--,,Und Schmied?'', hatte sie ihn gefragt.
--,,Möglicherweise noch gefährlicher, da kein Idiot!''