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Abschnitt 51


Felix machte nochmals seinen Uhrencheck. Drei Minuten waren wieder verflossen. Wann sollte er die Informationsveranstaltung zu TQM offiziell beginnen? Es sah so aus, als sei der Strom der Neuankömmlinge verebbt, aber die Stuhljäger trudelten immer noch ein. Unruhig begann er auf und ab zu gehen, dann blieb er vor einem der acht Gemälde stehen, die die Firma vor einigen Jahren bei diversen regional bekannten Künstlern in Auftrag gegeben hatte, um das Wirkungsfeld der Firma künstlerisch darzustellen. Jeder bekam etwa einen drittel Quadratmeter Leinwand zugestanden, wo sie sich austoben konnten. Nun waren ihre Ergüsse fein säuberlich auf weißem Passpartout und hinter Glas, umrahmt von schmalem silbrigen Rahmen. Vorher zierten den Raum Farbfotografien im Posterformat mit Produkten und drei Luftaufnahmen der drei Firmenstandorte. Die Abteilung für öffentlichkeitsarbeit fand diese Zurschaustellung jedoch nicht mehr zeitgemäß und zu egozentrisch, was bei Kunden unter Umständen eine negative Grundeinstellung auslösen könnte. Künstlerisch, selbstkritisch und modern sollte das neue Image sein. Nur unter vorgehaltener Hand äußerten sie jetzt ihren Unwillen darüber, daß diese Gemälde zu kritisch seien, sich zu wenig mit ihrem Wirken auseinandersetzten und vor allem bemängelten sie fehlende Produktnähe.

Plötzlich erscheint Herr Sonntag in der Türe, schaut sich um, wartete bis ein paar Leute mit ihren Stühlen eingetreten sind, dann schließt er die Türe und eilt nach Vorne. Mit überschwenglicher Freundlichkeit schüttelt er Felixens und Frau Webers Hand. Dann nimmt er zwischen den beiden Platz.

--,,Schön, daß sie auf mich gewartet haben!''

Felix schaut ihn erstaunt an und wußte nicht, was er sagen sollten. Am besten sagte er wohl nichts. Irgendwie mußte er Herrn Mohler falsch verstanden haben. Er hatte ihm zwar gesagt, daß Herr Sonntag wahrscheinlich auch käme, aber daß er auch bei der Diskussionleitung Platz nähme, war nicht so klar aus seinen Worten hervorgegangen. Ansonsten war es natürlich undenkbar, daß Herr Sonntag inmitten von all diesen Unbedeutenden Platz nehmen könnte. Aber es war natürlich klar: Lediglich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sollten eingeladen werden, die keine Führungsaufgaben wahrnehmen. Hierin hatte Felix sich durchsetzen können, obwohl Herr Mohler anfangs Herrn Bragards Vorschlag, nur Abteilungsleiter zu laden besser fand. Aber es sollten möglichst wenige eingeladen werden, nicht eine Betriebsversammlung abgehalten werden, wie es anfänglich Felixens Plan war. Man könnte sie ja statistisch repräsentativ auswählen, so war Bragards Vorschlag gewesen. Damit hatte Felix endgültig keine Chance mehr seinen Wunsch auf eine allgemeinen Versammlung zu realisieren, und nach kurzer Zeit wollte er es auch nicht mehr, denn die repräsentativ ausgewählte Gruppe erschien ihm selbst auch als der bessere Weg. ,,Also, eine kleine Gruppe höchstens vierzig Leute!'', faßte Herr Mohler eine lange Besprechung zusammen und damit war für ihn alles klar, für ihn gab es keine Probleme mehr, und er wollte von der Sache nichts mehr hören. Warum gerade vierzig, er hätte ebensogut dreizig oder fünfzig sagen können, oder gar hundert? Aber Felix freute sich, daß seiner Idee überhaupt entprochen worden war. Wie sollte er aber die vierzig Leute repräsentativ auswählen?

Der erste Versuch war ein glatter Fehlschlag. Er hatte die Personalabteilung gebeten, ihm eine solche Liste zu erstellen. Nach mehreren Tagen und unter Beratung mit einem Mathematiker kamen sie mit dem Ergebnis: `Herr Schmied, wie gewünscht erhalten sie anbei eine Liste mit vierzig Namen und zugehörigen Abteilungsnummern.' Aber obwohl die Liste ansprechend in schönem Font gedruckt war, stellte sich schon nach kurzer Zeit heraus, daß sie zu nichts brauchbar und zu nichts nütze war. Die Einladungen waren schon bereit zum Verteilen, als Frau Fiedler, die für Felix zuständige Sekretärin, ihn darauf aufmerksam machte, daß ganze Abteilungen auf dieser Liste nicht vertreten waren, während andere mit mehreren Personen vertreten waren. Ob er nicht meine, daß dies zu Protesten führen könne? Es nützte nichts, daß er sich wütend in der Personalabteilung beklagte, denn sie hätten nur ihren Auftrag korrekt ausgeführt, und außerdem verwiesen sie auf den Mathematiker. Der wiederum bombardierte ihn mit statistischen Definitionen und Formeln, so daß Felix in kürzester Zeit seinen Rückzug antrat. Warum beauftrage er nicht einfach die Abteilungsleiter, jeweils einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin auszuwählen, fragte ihn Frau Fiedler. Nein, das könne er nicht, denn dann wäre das Zufälligkeitsprinzip außer Kraft gesetzt. Also beauftragte er die Personalabteilung von neuem ihm eine neue Liste zu erstellen. ,,Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sollen repräsentativ ausgewählt sein, unter der Nebenbedingung, daß jede Abteilung durch mindestens eine Person vertreten sein muß.''. Diesmal mußte er zwei Tage länger warten, denn man mußte nun auch noch einen Programmierer hinzuziehen, da der Mathematiker zwar ein brillianter Denker war, zumindest hielten ihn die meisten dafür, aber er konnte leider nicht gut programmieren, und er wollte das Problem diesmal mit einem kleinen Programm lösen.

Der zweite Anlauf schien erfolgreicher zu sein. Die auserwählten Mitarbeiter wurden eingeladen, und ihre Vorgesetzten wurden darüber informiert und gebeten, die Betroffenen von der Arbeit für die Dauer der Veranstaltung freizustellen, es sei denn wichtige betriebliche Gründe sprächen dagegen. Letzteres war aber gerade wieder das teuflische Detail, daß die tollsten Ideen zerstören kann. Für viele Abteilungsleiter war es der Rettungsanker, mit dem es ihnen möglich war, zu verhindern, daß ungeliebte Untergebene zu dieser Veranstaltung gehen könnten und gegebenenfalls dem Ruf ihrer Abteilung, und damit vor allem ihnen selbst, schaden könnten. Tagelang wurde Frau Fiedler auf Trapp gehalten. Ständig mußte sie Namen austauschen. Einige Abteilungen, oder genauer gesagt ihre Leiter, drängten darauf, daß es ihnen wegen ihrer zentralen Rolle im gesamten Betriebsprozeß -- von den nahezu 40 Abteilungen waren nach eigener Definition wohl etwa 80 Prozent von zentraler, und der Rest war von entscheidender oder strategischer Bedeutung -- und wegen der großen Wichtigkeit bestimmter Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen erlaubt sein müsse, mehr als eine Person zu entsenden. Im Gegensatz dazu sahen andere sich außerstande überhaupt einen Mitarbeiter wegen der -- so ihre eigene Einschätzung -- hohen Arbeitsbelastung, noch nicht einmal für eine Stunde zu dieser Veranstaltung abzustellen. Wiederum andere Abteilungsleiter fühlten sich brüskiert, weil sie nicht selbst teilnehmen durften, und nahmen dann, nachdem ihre Proteste nichts gefruchtet hatten, entweder den Standpunkt derer an, die sich unterrepräsentiert fühlten, oder derjenigen die unter Überbelastung duch Arbeit litten. Jedenfalls, so erklärte es sich, daß zum einen nahezu niemand von den ursprünglich, nach statistischen Gesichtspunkten Ausgewählten anwesend war, und daß nahezu 80, statt den ursprünglich von Mohler bestimmten 40, anwesend waren.

--,,Ich denke, daß wir dann wohl anfangen können!'', sagte Herr Sonntag, oder `Schönes-Wochenende', wie er von einem großen Teil der Belegschaft genannt wurde. Sein Spitzname entsprang seiner Art sich zu kleiden und seinem arroganten Auftreten. Er wirkte immer wie ein Dressman für Managerbekleidung. Alles wirkte immer zu tadellos und zu korrekt. Egal, ob er redete, ob er sich bewegte oder ob er still saß, immer wirkte alles so, als riefe er ,,Oh wie bin ich schön! Wie interessant bin ich! Wie wichtig bin ich!'' Im alten Rom hätte er sich einen Sklaven halten können, der ihm Luft zugefächert hätte und ihn in guter Tradition daran erinnert hätte, daß auch er ein Sterblicher sei.

Der hat doch bisher überhaupt nicht mitgearbeitet, überhaupt nichts zu TQM beigetragen, und nun taucht er wie ein Deus ex Machina auf, und reißt mit der allergrößten Selbstversteändlichkeit das Kommando an sich. Felix fühlte sich wehrlos, denn er wußte nicht, wie er kontern könnte, jetzt vor allen Leuten, und ob es überhaupt sinnvoll wäre, denn Sonntag war ja einer der Einflußreichsten Persönlichkeiten der Firma, Lion's Club Bruder von Mohler und dessen Golfpartner. Aber es kam noch schlimmer, denn was dann folgte, damit hatte Felix wirklich nicht rechnen können, noch nicht einmal ahnen hätte er es können. Das war einfach unfähr, dachte er. Dies war doch seine Veranstaltung, niemand hatte ihm gesagt, daß Herr Sonntag offiziell mitmachte. Felix hatte gerade seine Folien gepackt und wollte aufstehen, als ihm Sonntag die Folien aus der Hand nahm, beinahe riß.

--,,Lassen sie mich mal! Ein paar einleitende Worte!'', hatte er gesagt, und dann eilte Herr Sonntag mit seinen Folien zum Projektor, und als er das Gerät eingeschaltet hatte, ebbte das Stimmengewirr sofort ab.

--,,Meine Damen und Herren, ich begrüße sie recht herzlich zu dieser Informationsveranstaltung, die wir von der Geschäftsleitung ... '', begann er langsam und mit lauter Stimmer seine Rede.

Was heißt hier `Informationsveranstaltung', es sollte doch eine Diskussionsveranstaltung sein, dachte Felix. Warum tut der dies? Nun konnte Felix seine Einführungsrede vergessen. Und was sollte dieses `wir von der Geschäftsleitung', Felix hatte doch lange kämpfen müssen, bis er ein Okay erhalten hatte und nun tat Sonntag so, als wäre alles seine Idee gewesen. Das Gegenteil war doch der Fall, er gehörte doch zu denen, die die Notwendigkeit von TQM anzweifelten. Felix konnte es nicht fassen: Herr Sonntag legte tatsächlich eine seiner Folien auf. Es war eine der Folien, die er am Strand in der Toskana erstellt hatte.

--,, ... um ihnen die verheerende Kostenexplosion bei gleichzeitig zu erwartenden sinkenden Absatzpreisen zu verdeutlichen, habe ich ihnen diese schöne Folie vorbereitet. ... '

Er hatte `ich' gesagt, Felix war fassungslos. In großen dunkelgrünen Lettern leuchtete `TQM (Total Quality Management' auf der Leinwand. Familienstreit am Strand wegen dieser Folie, und nun tut dieses, -- wie konnte er ihn am besten titulieren --, Schwein so, als sei alles von ihm. Hätte er doch wenigstens `wir' gesagt. Herr Sonntag war nun nicht mehr zu stoppen, und er wirkte es lausche er gleichzeitig seinen Worten und berausche sich einen seinen, wie vor allen er fand, schönen Formulierungen. Nein, es war keine Informationsveranstaltung mehr, Sonntag machte daraus eine Modeschau. Ja, auch seine Kleidung, sein teuerer Anzug seine Schuhe, für den Monatslohn einer der vielen geringwertig beschäftigten Putzfrauen und seine farbenfrohe Krawatte. Aber um seine Kleidung, wenn sie auch noch so außergewöhnlich war, ging es nun nicht, es war eine Modeschau der Sprache: `Am Projektor nun Lars Sonntag, der uns die neuste Kreation aus der Schule von Professor Weger vorträgt. Eine Sprache geschmiedet für den Manager im Strom der Zeit, eine Sprache voll von neuen gewaltigen Begriffen, eine Sprache, die keine Furcht im Umgang mit anderen Kulturen hat, wie anders wäre ihr forscher und lebhafter Gebrauch von Anglizismen zu erklären?'

Und dann zeigte er, was er konnte, als er von einer rosigen Zukunft schwärmte. Aber nur dann hätten sie die besten Zukunftschancen, und damit auch -- er vergaß nie, wenn auch in positiven Formulierungen die Furcht in untergebenen Zuhörern wachzuhalten -- sicheren Arbeitsplatz, wenn es ihnen gelänge, die Kostenspirale aufzuhalten. Er zeigte, was er gelernt hatte, als er dannn das Bild vom Manager malte, der Schrauben dreht, um die Kosten zu senken, und viele der Zuhörer sahen wohl auch Daumenschrauben. War auch dies gewollt? Und dann immer wieder Druck: Konkurrenzdruck, Kostendruck, Preisdruck. Und immer er an vorderster Front, um die Seinen zu schützen, so sollten sie es aufnehmen. Sich orientieren, neuorientieren, einphasen, immer auf der Suche nach dem wahren Weg, -- Mammon auf dem Weg zu Gott? -- ,,wir befinden uns in einer Oritentierungsphase, um Wege zu suchen, mit welchen Konzepten und Strategien dies zu gewährleisten ist!'' `Komplexität' mußte vorkommen, einerseits, um zu betonen mit welch schwieriger Materie ein Manager sich rumplagen muß und andererseits ist es die perfekte Entschuldigung für die Entscheidungen, die wie Fehler aussehen könnten. Etwas Homöapathie kann auch nie schaden, also rein mit dem ganzheitlichen Ansatz. ,,Bei der Realisierung des TQM-Konzeptes ist es von strategischer Bedeutung, daß die Komplexität eines ganzheitlichen Ansatzes von vornherein berücksichtigt wird. Aber wer jedoch mit der Einführung wartet, bis ein vollständiges Konzept bis in alle Nuancen erstellt ist, der wird erfahrungsgemäß nie beginnen.'' Und dann begann er zu modularisieren, -- nicht umsonst hatte er doch Elektrotechnik studiert, -- zunächst müßten also einzelne Module, Qualitätsmanagementmodule entwickelt und umgesetzt werden, um alles würde dann in das totale Qualitätsmanagement münden. Oh ja, auch seine Lieblingsthemen vergaß er nicht, modern, wie seine Kleidung, wie seine Sprache, und hier konnte er auch mal so richtig mit seinem Businessenglisch -- die Form des Englischen, die einem nicht die Welt von Shakespeare, Wilde oder Steinbeck erschliesst -- zu protzen: Outsourcing und der damit, wie er es gerne zu nennen pflegt, verbundene ,,Wandel vom local zum global player''. Die `Konzentration auf das operative Kerngeschäft' und die Gründung von `business units' durften natürlich auch nicht fehlen. Und dann erinnerte er sich auch wieder an seine Zuhörer: Er freue sich außerordentlich, daß es nun zu einem innovativen Prozeß gekommen sei, der von der Basis ausging und getragen sei. Eine motivierte Mitarbeiterschaft sei von -- und wieder sein Lieblingsadjektiv -- strategischer Bedeutung für den Erfolg von TQM und natürlich alles betriebliche Wirken. Mit ,,sicherlicher wird ihnen Herr Schmied noch einige weitere interessante Details zu TQM vermitteln können!'' endete er seinen Vortrag und schenkte Felix sein süßestes Lächeln. Es zeugte von einer meistehaften Selbstbeherrschung, daß Felix zurücklächeln konnte und sich darüber hinaus noch bei ihm für seine Ausführungen, die ja zum großen Teil seinen Folien entstammten, bedankte. Zwar waren es seine Folien gewesen, aber Sonntag hatte sie zum Teil recht frei interpretiert und oft in völlig falschen Kontext verwendet. Felix kochte vor Wut, sah aber keine Möglichkeit, wie er sich von ihr befreien konnte, ohne es sich mit Sonntag zu verderben, und er wußte, daß er sich das nicht leisten konnte, noch nicht.

Wenn er sich nicht arg täuschte, würde sich Dr. Wiedenkamp nun gleich zu Wort melden. So sah er damals auch aus in dieser Besprechung, die Felix wohl so schnell nicht vergessen würde. Der gleiche rote Kopf, und er wirkte, als bekäme er keine Luft mehr.

Felix erinnerte sich daran wie überraschend Dr. Wiedenkamps Wutausbruch damals für ihn gekommen, denn bis zu diesem Zeitpunkt waren die wenigen Besprechungen mit ihm immer recht harmonisch abgelaufen. Klar, Felix hatte schon immer das Gefühl gehabt, daß er ein Querdenker sei, aber diese Aggression hatte ihn total unerwartet getroffen. Ihm könnte es kaum schaden, sich mit Herrn Sonntag anzulegen.



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