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Und weiter






Das größere Licht zur Beherrschung des Tages
und das kleinere Licht
zur Beherrschung
der Nacht und der Sterne.








Wenn das Türschloß jetzt zuschnappte, noch bevor sie ihren Mantel ausgezogen hätte und bevor sie sich einen der grünen Kittel übergezogen hätte, begänne wieder das Warten. Sie wollte die günstige Gelegenheit nutzen unter Mißachtung einer der vielen Verbote auf dem Schild über der Klingel und Sprechanlage. ,,Eintritt nur nach vorheriger Anmeldung!'', aber sie wollte einfach so reinschlüpfen, das würde in all der Hektik bestimmt nicht auffallen. Oder vielleicht doch? Was würden sie tun? Aber sie wollte nicht schon wieder Ewigkeiten warten, bis sich jemand erbarmte, sie einzulassen. Ewig, ja richtig, so war es ihr vorgekommen, ohne Uhr in diesem allzu kleinen und schmucklosen Warteraum. Heute hatte sie an ihre Armbanduhr gedacht, denn sie wollte nicht noch einmal zeitlos ausharren müssen. Oder sollte sie es besser nicht tun, sie wollte sich doch keinen Ärger einhandeln, dachte sie nachdem sie ihren Mantel schon am kleinen Ständer aufgehängt hatte und schon mit einem Bein die Schwelle überschritten hatte. Sollte sie sich nicht doch besser an der Wechselsprechanlage anmelden und warten, bis man ihr ein Okay gäbe. Die anderen waren ja auch eingelassen worden. Also bestand doch Hoffnung, daß sie nicht lange warten müßte. Nein, verscheuchte sie alle Bedenken, heute würde sie überhaupt nicht warten müssen, dank der kleinen dicken Frau mit dem grob gelockten Haar, die die Türe extra für sie nicht hatte zuschnappen lassen. Für Vera war es die ,,Tochter von dem Herzinfarktpatienten aus dem Zimmer vor ihrer Mutter''. Erst vier Tage war ihre Mutter im Krankenhaus und schon kamen ihr die anderen Patienten und vor allem die anderen Angehörigen wie alte Bekannte vor. Sie verstanden sich, ohne sich einander zu erklären.

Als sie dienstags vom Krankenhaus nach Hause fuhr dachte sie, daß alles wäre, wie in einem großen Kino. Einem in dem viele verschiedene Filme gleichzeitig liefen. Wenn die Besucher ihre Karten gekauft haben, kann man ihnen nur schwerlich ansehen, welchen Film sie gewählt haben. Ja schon, manchen sieht man es doch leicht an, worauf sie stehen, beugte sie sich einem imaginären Einwand. Früher, als Felix und und sie noch häufig ins Kino gingen, hatten sie sich sogar einmal einen Spaß daraus gemacht, die Leute im Vorraum zu beobachten und zu klassifizieren, ihnen ein passendes Genre zuzuordnen. ,,Siehst du den dahinten? Der geht bestimmt in einen Sexfilm. Der geht so, als wolle er nicht gesehen werden.'' Niemanden anschauen und hoffen, daß man dann auch nicht wahrgenommen würde. Und meist hatten sie recht, die Straußenvögel huschten meist in die textillosen Vorführungen. Die 007-Typen, die Klamauktypen, und dann die oder der leidende Intellektuelle. Wiedermals müssen sie über hundert Minuten Pessimismus tanken, und dürfen sich nicht in der populären Komödie entspannen. Tun sie es dennoch, stülpen auch sie ein Straußenkostüm über, und können leicht mit den Genitalfreunden verwechselt werden, und häufig wohl auch zurecht. Aber dann, wenn die Filme zu Ende sind, dann sind sie alle von dem erlebten geprägt. Kraftstrozend eilt Bond aus dem Saal, bereit den Verbrechern zu trotzen und seine Freundin strahlt als gehörte sie nun zu den Auserkorenen des Meisterspions. Erheitert quellen die Besucher einer Komödie aus dem Saal, immer noch schallend lachend. Viele versuchen immer wieder besonders lustige Stellen zu imitieren, und wirken häufig durch schauspielerisches Unvermögen drolliger als das Original. Sie wollen sich selbst und ihre Begleitung im Zustand der Vergnüglichkeit belassen oder dieses Glücksgefühl gar noch steigern. Ganz anders die Menschen die gerade einer gigantischen Celuloidkatastrophe entronnen sind, oder diejenigen, die Zeugen einer von ihnen selbst gewählten Tragödie geworden waren. Langsam, ohne jede Eile verlassen sie ihren Saal. Meist schweigend und irgendwie dankbar, daß sie nun wieder von den vertrauten Räumlichkeiten des Kinos umgeben sind. Zwar haben die einen, die sich für die Hollywoodkatastrophe entschieden hatten, erwartungsgemäß mit dem Heldenpaar überlebt - ist ja meist ein Paar, auf daß sich sowohl männliche als auch weibliche Besucher mit den Akteuren identifizieren können - aber dennoch sind sie aufs Äußerste betroffen. Waren sie doch nur knapp dem Tode entronnen. Aber die Absolventen der Tragödie müssen nun erst einmal die Ausweglosigkeit ihres Helden, oder besser Antihelden, verkraften. Sie müssen sich nun aus den Klauen der Identifizierung befreien, müssen eine Erklärung finden, weshalb ihre Situation gänzlich anders ist, weshalb ihnen so etwas wohl kaum passieren kann. Alles war ja nur ein Film gewesen, und wenn es auch noch so realistisch war. Das hilft! Ja, sie waren auch so eine Gemeinschaft, die Besucher der Intensivstation. Aber hier wurde wirklich gestorben, und ohne jede dramaturgische Veredelung.

Schnell rein, Finger desinfizieren - soll man das eigentlich vorher und nachher machen - und dann durch den langen Gang. Hatte die gerade nach ihr gerufen? War das nicht Schwester Alma gewesen. Bloß weiter laufen zum Zimmer ihrer Mutter, jetzt nicht aufhalten lassen, so tun, als habe sie nichts gehört. Wenn sie erst mal drinn wáre, würden sie sie wohl kaum wieder rauswerfen, rausbitten. Oh verdammt, die hat mit gerade noch gefehlt. ,,Aber Frau Schmied, was machen sie denn hier?'', schallte Schwester Hildes Stimme aus einem Zimmer, das Vera eilig passierte. Nun würde sie keiner mehr halten, noch zehn Meter bis zum Zimmer ihrer Mutter. Hinein, durch die wie immer offen stehende Tür. Aber nein, das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Ja, das Zimmer stimmte, da lag immer noch die Patientin mit dem Hirnschlag, die noch nie die Augen geöffnet hatte, zumindest nicht als Vera anwesend war. Das Bett neben ihr war mit einer Plane überzogen und unbesetzt. Das Bett, in dem Vera ihre Mutter erwartete. Wo sie immer noch lag in ihrer Erinnerung, zaghaft lächelnd, umgeben von Kabeln und Schläuchen. Was war geschehen? Sie wird doch nicht ...




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